"Kosmos Barock": Eine neue Publikation zur Stiftskirche von Melk

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Einblick in die Stiftskirche

Die ab 1702 errichtete Benediktinerstiftskirche von Melk zählt zu den Hauptwerken Jakob Prandtauers und ist eine der bedeutendsten Barockkirchen Mitteleuropas. Darüber hinaus gilt sie als barockes „Gesamtkunstwerk“, denn Architektur, Plastik und Malerei sind engstens aufeinander abgestimmt. Besucher, die die Kirche zum ersten Mal betreten, sind von der Fülle und Pracht überwältigt: Sie halten zunächst einmal inne, lassen den Blick schweifen und betrachten dann die Deckenfresken.


Den wenigsten gelingt dabei allerdings der Schritt vom Staunen zum Verständnis. Was sich ihnen in der Stiftskirche darbietet, was Fresken, Ölbilder und Altäre mitteilen wollen, erschließt sich ihnen kaum.

Den meisten Besuchern unserer Tage bleibt verborgen, was sich hier zeigt, weil das Wissen um die dargestellten Themen und deren Aussagen im 21. Jahrhundert weitgehend verloren ist. Darunter leiden sowohl die Einzelbetrachtung als auch das Verständnis für die Komplexität von Architektur, Malerei und Plastik (Altäre, Kanzel). Vielleicht ist es ein Trost, dass sich der „Kosmos“ des barocken Raums in seiner gesamten Dichte selbst Kunsthistorikern, Historikern und Theologen nur schwer erschließt.


Umso erwartungsvoller greift man zu dem vor wenigen Monaten im Böhlau Verlag erschienenen, kleinformatigen Buch von Werner Telesko, das auf rund 200 Seiten diesen barocken Kosmos zu erklären verspricht. Genau diese Erwartung hat mich übrigens auch dazu veranlasst, dem Verlag sofort zuzusagen, als er mich gefragt hat, ob ich das Buch rezensieren würde.

Fragestellung & Inhalt

Drei Fragestellungen stehen im Zentrum der Publikation: „Wie ‚funktioniert’ eigentlich die Ausstattung einer barocken Kirche? Welche unterschiedlichen Aussagen und Inhalte werden mittels der bildenden Kunst an den Betrachter gerichtet? Welche Möglichkeiten existieren, um die essentiellen christlichen Themenkreise in der bildenden Kunst adäquat wiederzugeben?“ (S. 13).

Langhausfresko von J. M. Rottmayr, Hl. Benedikt
Langhausfresko von J. M. Rottmayr, Hl. Benedikt

Auf eine Einleitung folgen vier große Kapitel, in deren Mittelpunkt das Fresko des Langhauses (Kapitel 2), die Fresken von Kuppel und Chor sowie der Hochaltar (Kapitel 3), die Fresken und Altäre des Querhauses (Kapitel 4) und die Sommersakristei (Kapitel 5) stehen.

 

Den Abschluss bildet das kapitelweise geordnete „Literaturverzeichnis“, das eigentlich eine umfassende Literaturauswahl darstellt. Auf ein Register wurde ebenso verzichtet wie auf Fußnoten – offenbar, weil sich das Buch an ein breites Publikum wendet.

Die Zielgruppe

Neben dem fehlenden Anmerkungsapparat lässt die Aufmachung, insbesondere das kleine Format, den Schluss zu, dass die Zielgruppe der Publikation aus Laien besteht. Fängt man mit der Lektüre an, wird man jedoch rasch vom Gegenteil überzeugt: Werner Telesko erläutert kenntnisreich in allen Facetten die vielfältigen inhaltlichen Ebenen und Sinnbezüge der gesamten Melker Ausstattung. Der Autor, den ich persönlich kenne und überaus schätze, tut dies vor dem Hintergrund eines enormen Expertenwissens; allerdings gelingt es ihm nicht, dieses gut nachvollziehbar zu machen, also didaktisch aufzubereiten.

 

Man hat das Gefühl, dass jedes Detail fachlich ausgelotet werden soll, als Leser/in bleibt man dabei freilich auf der Strecke. Teleskos Augenmerk gehört ausschließlich der Kunst, nicht der Leserschaft, die diese verstehen möchte. Aspekte der Vermittlung spielen für ihn keine Rolle. So gerät die Lektüre des Buches zu einer echten Herausforderung, weil man in der Fülle an Einzelhinweisen und Belegen (Kupferstiche, schriftliche Quellen etc.) immer wieder den roten Faden verliert.

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Blick in die Kuppel

Knappere Sätze, hin und wieder ein erläuternder Nebensatz zu Fachbegriffen, eine vereinfachte bzw. exemplarische Darstellung komplexer Sachverhalte und eine geringere Anzahl an Verweisen auf schriftliche und bildliche Quellen wären hilfreich gewesen.

 

Da Werner Telesko den Großteil seiner Überlegungen zum Innenraum der Melker Stiftskirche bereits in vier wissenschaftlichen Aufsätzen publiziert hat, wäre das Buch nun eine Möglichkeit gewesen, eine breite Leserschaft gedanklich bei der Hand zu nehmen und ihr Schritt für Schritt die Aussagen von Fresken und Altären näherzubringen.

 

Dass dies nicht geschehen ist, liegt freilich nicht nur am Autor, sondern auch an seinem Partner, dem Böhlau Verlag. Gerade der Verlag hätte doch die Zielgruppe im Auge behalten und mit dem Autor ein Konzept entwickeln müssen, das diese breite, interessierte Leserschaft nicht nur berücksichtigt, sondern sogar ins Zentrum der Überlegungen stellt. Da die Melker Stiftskirche mit mehreren Tausend Besuchern pro Jahr ein echter Touristenmagnet ist, hätte sich das vielleicht sogar finanziell gelohnt.

Fazit

Das Buch wäre meiner Meinung nach eine Chance gewesen, den Lesern zu zeigen, wie komplex, aber eben auch wie vielschichtig der Innenraum der Melker Stiftskirche bzw. wie spannend barocke Kunst ist. Werner Telesko wäre als einer der besten Kenner der Kunst dieser Epoche eigentlich dazu prädestiniert, einem breiten Publikum Schritt für Schritt zu zeigen, wie man sich dem „Kosmos Barock“ nähert, ihn entschlüsselt und ihn auch als Mensch des 21. Jahrhunderts verstehen kann.

© Böhlau Verlag
© Böhlau Verlag

Werner Telesko


Kosmos Barock

Architektur – Ausstattung – Spiritualität. Die Stiftskirche Melk

 

Böhlau Verlag 2013

212 Seiten, 60 Abbildungen

 

Preis: € 19.90 (A)

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