Hatte Jakob Prandtauer einen Zwillingsbruder?

Babyfüße mit Blume

 

In diesen Tagen jährt sich der Geburtstag Jakob Prandtauers zum 357. Mal – Anlass, eine rätselhafte Geschichte rund um seine Geburt hier im Blog aufzugreifen. Die Indizien deuten nämlich darauf hin, dass Prandtauer einen Zwillingsbruder hatte, worauf Peter Fidler 1985 erstmals hingewiesen hat (die genaue Literaturangabe finden Sie unten).

Die Geburt Jakob Prandtauers im Juli 1660

Jakob Prandtauer wurde 1660 in Stanz, einem kleinen Dorf ca. 80 km westlich von Innsbruck, 200 m oberhalb von Landeck, geboren. Seine Eltern Simon Prandtauer und Maria Lentsch hatten 1643 geheiratet und besaßen in Stanz ein stattliches Haus

 

Jakob Prandtauer war nicht das erste Kind seiner Eltern: Mindestens vier der insgesamt sieben Schwestern wurden vor ihm geboren. Die Eltern müssen überaus glücklich gewesen sein, als 1660 endlich ein Sohn auf die Welt kam. Wahrscheinlich waren es sogar zwei Söhne. Aber der Reihe nach.

 

Der Tag von Prandtauers Geburt ist, wie fast immer bei Kindern der damaligen Zeit, archivalisch nicht überliefert. Bekannt ist nur, dass Prandtauer am 16. Juli 1660 in der Pfarrkirche von Zams, einem Ort ganz in der Nähe von Stanz, getauft wurde.

 

Wir dürfen davon ausgehen, dass Prandtauer entweder am selben Tag oder kurz davor geboren wurde. In der damaligen Zeit wurden Kinder nämlich so rasch als möglich getauft, oft sogar bevor sie zum ersten Mal gestillt wurden. Die Eltern in der Barockzeit hatten große Sorge, dass ihr Kind sterben könnte, ohne die Taufe empfangen zu haben. Dann aber hätte es nicht in den Himmel gelangen können – das Schlimmste, was passieren konnte!

 

Die vollständige Eintragung zu Prandtauers Taufe lautet: 16. [Juli 1660] Jacobus fil[ius] leg[itimus] Simonis Brantauer e[t] Maria Lentschin conjugum ex Stanz Patrin[us] Thomas Waibel Baptist a Joanne Lechleitner cooperatore Zambensi. Angeführt werden also das Datum der Taufe, der Name des Täuflings, die Namen der Eltern (des Vaters Simon Prandtauer und der Mutter Maria Lentsch), der Name des Paten (Thomas Waibel) und des Kooperators (Johann Lechleitner).

 

An diesem Eintrag ist nichts ungewöhnlich. Spannend wird es, wenn man im Taufbuch der Pfarre Zams ein wenig nach vorne blättert ...

Georg Prandtauer, geboren im April 1660

Ein wenig weiter vorne findet sich eine auffallend kurze Eintragung, derzufolge am 24. April 1660, also etwas mehr als drei Monate vor der Taufe des kleinen Jakob, „Georg, ehelicher Sohn von Simon Prandtauer“ getauft wurde. Die lateinische Eintragung lautet: Georgius fil[ius] legit[imus] Simonis Prandtauer.

 

Peter Fidler hat, wie schon erwähnt, 1985 auf diese Quelle kurz hingewiesen und die These formuliert, dass Georg der um drei Monate zu früh geborene Zwillingsbruder Jakob Prandtauers war. Das Datum und die Tatsache, dass der Georg als eheliches (siehe die Formulierung legitimus) Kind von Simon Prandtauer bezeichnet wird, deuten darauf hin.

 

Als ich diese These Peter Fidlers gelesen habe, war ich erst einmal skeptisch. Kann das möglich sein, rein biologisch betrachtet?

Kann das stimmen?

Nach einem Austausch mit Sonia Horn, Medizinhistorikerin an der Universität Wien, dem Gespräch mit einem Gynäkologen und der Lektüre der Diplomarbeit von Petra Lindenhofer schließe ich mich der Ansicht von Peter Fidler an: Jakob Prandtauer hatte offenbar tatsächlich einen Zwillingsbruder!

Zweizeitige Zwillingsgeburten

Geburten, bei denen Zwillinge mit größerem bis beträchtlichem zeitlichen Abstand auf die Welt kommen, sogenannte zweizeitige Zwillingsgeburten, sind sehr selten, aber möglich – auch im 17. Jahrhundert. Die Voraussetzung für ein derartiges Wunder der Natur ist, dass die Kinder zweieiige Zwillinge sind, jedes Kind also eine eigene Fruchtblase mit einer eigenen Plazenta hat.

 

Wenn nun ein zweieiiger Zwilling zu früh auf die Welt kommt (zum Beispiel, weil die Versorgung im Mutterleib nicht ausreichend ist), kann der andere Zwilling, der im Bauch der Mutter bleibt, überleben. Ob der zu früh auf die Welt gekommene Zwilling überlebt, hängt – damals wie heute – vom Zeitpunkt der Geburt ab.

 

Als Frühgeburt hatte Georg kaum eine Überlebenschance – "kaum", da es in Ausnahmefällen auch im 17. Jahrhundert gelungen ist, extreme Frühgeburten durchzubringen. Georg muss kurz nach der Geburt gestorben sein (Quellen, in denen sich das Sterbedatum fassen ließe, haben sich nicht erhalten). Das erklärt auch, weshalb bei der Taufe, die eine Nottaufe gewesen sein muss, nur der Vater und nicht, wie üblich, auch Paten anwesend waren.

 

PS: Kaum hatte ich letztes Jahr die Überlegungen rund um Prandtauers Bruder für die Monografie zu Papier gebracht, schoss mir spontan ein Gedanke durch den Kopf: Was wäre, wenn Georg überlebt und die beiden gemeinsam einen Baubetrieb gegründet hätten? Meine Güte, rasch weg mit dem Gedankenexperiment!

Literatur

  • Peter Fidler, Zur Bauaufgabe in der Barockarchitektur. Das Palais Questenberg. Ergänzende Forschungen zu einer Prandtauer-Monographie, Innsbruck 1985 (insbes. S. 7)

Blog: Das könnte Sie auch interessieren

Kreis mit Hinweis auf Sponsorensuche

Abbildungsnachweis:
Pixabay.com: kelin

Kommentar schreiben

Kommentare: 0