Ein neu aufgefundenes Buch aus der Bibliothek Jakob Prandtauers

Aufgeschlagenes Buch: Traktat von Andrea Pozzo aus dem Besitz Jakob Prandtauers

 

Christine Oppitz

 

Der überlieferte Bestand an persönlichen Dokumenten aus dem Leben Jakob Prandtauers ist spärlich. Wertvoll sind demnach die Quellen, die unmittelbar mit dem Schaffen des Baumeisters in Zusammenhang stehen, wie eigenhändige Abrechnungen von Reisespesen, Kostenvoranschläge sowie die zahlreichen Pläne, die sich bis heute erhalten haben. Um die Kenntnis der Künstlerpersönlichkeit zu vertiefen, ist daher jede Ergänzung willkommen. In diesem Beitrag geht es um ein neu aufgefundenes Buch, das aus seinem Besitz stammt.

Die Bibliothek Prandtauers

2010 wurden im Rahmen der beiden Prandtauer-Ausstellungen in St. Pölten einzelne Bücher aus der ehemaligen Bibliothek von Jakob Prandtauer bereits der Öffentlichkeit präsentiert (siehe die Literaturhinweise am Ende dieses Beitrags). Der bislang bekannte Bestand umfasst neun Bücher, acht befinden sich in der Studiensammlung des Stiftes Seitenstetten, eins ist Teil der Stiftsbibliothek Melk. Alle Bücher besitzen braun-weiß marmorierte Einbände aus Papier, fünf tragen den Besitzvermerk Mier Jacob Prandtauer zu geherig

Die Spurensuche ...

Durch eine glückliche Fügung gelang es mir 2013, ein weiteres Buch aus der einstigen Bibliothek Prandtauers ausfindig zu machen. Da die Fundgeschichte nicht ganz alltäglich ist, soll sie im Folgenden kurz geschildert werden.

 

Ein bereits im Ruhestand befindlicher Antiquariatsbesitzer in Niederösterreich erinnerte sich im Gespräch mit mir, einmal im Tausch mit Briefmarken ein Architekturbuch erworben zu haben, in das der Name Jakob Prandtauers eingetragen war. Jahre später hätte er es an den damaligen Diözesankonservator Dr. Erich Widder verkauft, der es in sein lang gehegtes Projekt, ein Diözesanmuseum in Linz ins Leben zu rufen, als prominentes Stück integrieren wollte. Widder starb im Jahr 2000, ohne sein Ziel realisiert zu haben.

 

In der Hoffnung, dass das Buch nach dem Tod Widders nicht irgendwo verschollen war, wandte ich mich an Archive und Bibliotheken in Linz mit dem Ersuchen, in ihren Beständen Nachforschungen nach einem vor 1726 (Tod Jakob Prandtauers) erschienenen Architekturbuch anzustellen.

Die Suche war erfolgreich: 2013 meldete sich Mag. Eva Voglhuber vom Kunstreferat Linz und berichtete mir, dass sie das Buch in der Studiensammlung gefunden hätte. 

 

Es handelt sich um das Architekturtraktat des italienischen Jesuiten, Malers und Architekten Andrea Pozzo: Perspectivae Pictorum atque Architectorum II. Pars […] Georgio Conrado Bodeneer, Chaleographo […] Augsburg 1709.

Aufgeschlagenes Traktat von Andrea Pozzo
Kunstreferat der Diözese Linz, Studiensammlung, BU 91.016

Das Exemplar der UB Heidelberg können Sie hier abrufen und im Detail anschauen.

 

Pozzos Werk, das mit Kupferstichen versehen ist, war für alle, die sich mit Fragen der Perspektive befassten, von Bedeutung. Der Autor beschreibt nämlich unter anderem eine Technik, mit deren Hilfe es möglich war, mittels eines Koordinatennetzes eine Zeichnung maßstäblich auf einen Freskogrund zu übertragen.

Der erste Band erschien 1693, der zweite 1700 in Latein. Übersetzungen unter anderem ins Deutsche, Englische, Italienische und Französische folgten.

 

Bei dem Linzer Exemplar handelt es sich um den zweiten Band der deutschen Ausgabe, die 1709 erschienen ist.

 

Das Buch hat die Maße 31,5 x 21 x 3,5 cm. Der Einband ist aus Pappe gefertigt und mit Papier kaschiert, hat einen Lederrücken und Lederecken sowie einen roten Schnitt (siehe das Foto oben).

 

Auf der Rückseite des Titelblattes findet sich der Besitzvermerk Mier Jacob Prandtauer zu geherig, mit Rötelstift geschrieben. 

Aufgeschlagenes Buch von Pozzo
Besitzvermerk und Titelblatt
Detail des Besitzvermerkes Jakob Prandtauers

Im Inneren des Buches, dessen Erhaltungszustand nicht gut ist, sind deutliche Gebrauchsspuren erkennbar; einige Seiten weisen Zirkel- oder Bleistifteinstiche auf – ob diese von Prandtauer stammen, ist unklar.

Fazit

Mit der Entdeckung des Traktates von Pozzo ist das Wissen um den Bücherbesitz Prandtauers geringfügig vergrößert worden. Bücher dienten Baumeistern und Architekten wie auch geistlichen und adeligen Auftraggebern der Barockzeit als wichtiges Medium der Wissensvermittlung. Die bislang bekannten Bücher aus dem Besitz Prandtauers bieten zwar keine unmittelbaren Erklärungsansätze für sein Werk, zeigen aber, wofür sich der Baumeister interessiert hat.

 

Sollte Prandtauer den zweiten Band unmittelbar nach seinem Erscheinen, also 1709, erworben haben, dann ist er in einer besonders arbeitsintensiven Phase in seinen Besitz gekommen. 1709 liefen die Arbeiten am Neubau der Melker Stiftskirche auf Hochdruck (die Klosteranlage war noch nicht im Umbau) und er hatte eben die Leitung der Baustellen von Garsten und St. Florian übernommen.

Literaturhinweise:

Wolfgang Huber / Huberta Weigl (Hg.), Ausst.-Kat., Jakob Prandtauer (1660–1726). Planen und Bauen im Dienst der Kirche, St. Pölten 2010, S. 18–19 (Huberta Weigl)


Thomas Karl / Thomas Pulle / Huberta Weigl (Hg.), Ausst.-Kat., Jakob Prandtauer (1660–1726). Der Profanbaumeister, St. Pölten 2010, S. 20–21 (Huberta Weigl)

Über die Autorin: Dr. Christine Oppitz

Historikerin, bis 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Stift Herzogenburg, derzeit im Stadtarchiv Herzogenburg ehrenamtlich tätig.

 

Abbildungsnachweis: Christine Oppitz


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